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Für 70 Jahre Mitgliedschaft in der freiwilligen Feuerwehr wurde dem Oelsnitzer Rudolf Hertel gestern eine besondere Ehre zuteil. Dabei plauderte er auch aus dem Nähkästchen. 

VON TINO BEYER

OELSNITZ - Die Geschichte scheint ihm immer noch ein bisschen unheimlich. Denn erzählt hat sie Rudolf Hertel (86) auch nach Jahrzehnten noch nie jemandem. Nicht mal seinen Kameraden bei der Feuerwehr, wie er mit verschmitztem Lächeln nach seinem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Oelsnitz gestern Nachmittag bemerkte.

Es brannte im Grenzgebiet. Die Oelsnitzer Brandretter rückten in Richtung Obertriebel aus - bis ein Schlagbaum ihnen den Weg versperrte. "Es ging nicht vor und nicht zurück", erinnerte sich Rudolf Hertel. Was also tun? Es zählte doch jede Minute. Rudolf Hertel setzte die Säge an - und der Schlagbaum fiel. Die Feuerwehr erreichte schließlich den Brandort.

Doch die Geschichte, man ahnt es, hatte ein Nachspiel. Vielleicht brannte sogar die Luft. Rudolf Hertel musste jedenfalls bei der SED-Kreisleitung antanzen. Was er sich dabei gedacht habe, wollten die Genossen vom selbstständigen Klempnermeister wissen. Hertel antwortete so einfach wie wahrheitsgetreu: "Der Schlagbaum musste weg. Wir mussten doch zum Feuer." Bange Minuten folgten. "Da war's mir schon nicht geheuer", erinnerte er sich. Doch die Geschichte ging gut für ihn aus. Letztlich wurde er nach Hause geschickt - ohne Konsequenzen.

Es sind Anekdoten wie diese, die eine eigene Sprache sprechen. Sie erzählen davon, dass da jemand nicht nur andere Zeiten erlebt hat, sondern auch in all den Jahrzehnten mit Leib und Seele im Einsatz war. Wenn die Brandglocke ertönte, dann ließ Rudolf Hertel alles stehen und liegen. Ja, sogar über einen Kinderwagen habe er mal springen müssen, weil er ihm gerade den Weg versperrte. 1946, als 17-Jähriger, trat er in die Feuerwehr ein. Ein Schulkamerad hatte ihn mitgenommen. Der erste große Brand ließ nicht lange auf sich warten. In der Karl-Liebknecht-Straße war's, Rudolf Hertel erinnert sich noch ganz genau. Auch die vielen Feuer auf den Bauernhöfen der Umgebung und so manches damit verbundene Schicksal haben sich in sein Gedächtnis im wahrsten Sinne des Wortes eingebrannt. Besonders intensiv sind seine Erinnerungen an die Einsätze entlang der Bahnlinie. Damals waren Dampfloks im Einsatz. Funkenflug löste immer wieder Brände entlang der Strecke aus, besonders häufig im Bereich der Talsperre Pirk. "Es gab mal eine Woche, da hat es jeden Tag dort gebrannt." Die Oelsnitzer Wehr hatte sogar eine Draisine, um schneller zu den Brandorten zu gelangen.

Rudolf Hertel erinnert sich gern. Er ist zufrieden mit seinem Leben, das spürt man, das strahlt er aus. Mit 86 Jahren hält er sich fit. Seine Tage beginnen mit Frühsport. Dann steigt er auf den Hometrainer. 30 Kilometer strampelt er an manchen Tagen. Und er ist bei seiner Feuerwehr immer noch gedanklich dabei. Nach Einsätzen wolle er genau wissen, was los war, berichten Angehörige.

Oberbürgermeister Mario Horn (CDU) und Stadtwehrleiter Jens Jacob würdigten gestern die Verdienste Rudolf Hertels. Nach Eberhard Walther ist er der zweite Feuerwehrmann mit Eintrag ins Goldene Buch.

Bildtext: Rudolf Hertel, 86 Jahre alt, durfte sich gestern für 70 Jahre Mitgliedschaft in der freiwilligen Feuerwehr ins Goldene Buch der Stadt Oelsnitz eintragen.

FOTO: CHRISTIAN SCHUBERT 

Quelle: Freie Presse - Oberes Vogtland - Ausgabe: 11.03.2016 - Seite 11